Der 75% Blindspot. Die Monokultur von Cannes.
Key Takeaways:
Die Cannes Lions zelebrieren eine kreative Monokultur. Sie sind auf einem Auge blind. Sie sind zu westlich, zu englisch.
Drei Viertel der Juroren aus den USA, UK und Europa.
60% der Grands Prix gehen in die USA. Können 75% westliche Juroren beurteilen, welche Arbeiten aus Asien “sehr gut” ist?
Von den letzten 10 Malen von denen der Creative Marketeer of the Year ausgezeichnet wurde, war es 8 Mal ein US-amerikanisches Unternehmen (Microsoft, Google, Apple, etc)
In Indien wächst der digitale Werbemarkt dieses Jahr 20%, doppelt so schnell wie in westlichen Ländern. In Indonesien werden sechs von zehn Online-Einkäufen aus einem TikTok Livestream getätigt.
Cannes schliesst die Zukunftsmärkte systematisch aus.
Art Basel kann Vorbild sein. Mit Depandancen in Hong Kong, Miami und Paris sind sie immer am Puls der kreativen Epizentren.
Es war wieder Cannes.
Und wieder das gleiche ungute Gefühl.
Als erstes fällt auf: Fast drei Viertel der Speaker und Juroren sind english native. Sie reisen an aus den USA, aus UK. Sie heissen Amy und David, Laura und Larry, Scott und Sharon. Viele tragen europäische Namen.
Sind es diese Kollegen, die am International Festival of Creativity relevante Visionen zeichnen und die kreativen Benchmarks setzen können?
Nein.
Der strenge Blick auf die Liste der Speakers und der Juroren lohnt sich.
a bit of number crunching.
Anteil der Juroren aus den USA, UK und Europa: ca. 75%
Anteil des Werbevolumens dieser Länder am globalen Werbevolumen: ca. 50%
Anteil der Speaker aus englischsprachigen Ländern: ca 65 %
Anteil der Weltbevölkerung mit Englisch als Muttersprache: ca. 5 %
Anzahl eingereichter Arbeiten: 26900
Anteil der eingereichten Arbeiten aus den USA/UK/Europa: ca 75%
Anteil der Grands Prix für USA/UK/Europa: 60% (20 Grands Prix)
Anteil der Grands Prix für Asien: 15% (5 Grands Prix)
Anzahl der letzten 10 Mal, in denen ein US-amerikanisches Unternehmen als Creative Marketeer of the Year geworden ist: 8
“Die Cannes Lions sind auf einem Auge blind. Sie sind zu westlich, zu englisch. Wir hören den falschen Menschen zu.”
Der „Westen“ erhält einen überproportionalen hohen Anteil an Awards. Ja, man könnte argumentieren, dass die Qualität in westlichen Ländern halt höher ist. Doch können die 70% westlicher Juroren wirklich beurteilen, was in Asien „gut“ ist?
In Indien wächst der digitale Werbemarkt dieses Jahr 20%, doppelt so schnell wie in westlichen Ländern. In Indonesien werden sechs von zehn Online-Einkäufen aus einem TikTok Livestream getätigt. In APAC wächst Search Engine Advertising dieses Jahr doppelt so schnell wie letztes Jahr. HeyTea kollaboriert in WeChat Mini-Programmen mit dem Megagame Genshin Impact und verkauft 1.4 Millionen Getränke mehr in 10 Tagen. The Cognitive Prime Time Universal
Die neue kreative Weltordnung
In diesen Märkten pulverisieren Super-Apps das westliche Verständnis von Customer Journey. Ihre Marken verschmelzen Social Commerce und Popkultur in Echtzeit. Sie schauen einer fantastischen Zukunft direkt ins Auge und setzen neue Benchmarks für Markenstrategie und Kreativität.
Meanwhile in Cannes.
Jimmy Fallon erklärt sein Medien-Imperium auf YouTube und im linearen TV.
Disney zeigt, wie Storytelling im Multiscreen Zeitalter funktioniert, während die Menschen in Jakarta täglich über vier Stunden TikTok-Lives schauen, doppelt so lang als jeder Disneyfilm dauert.
Apple’s Tor Myrhen doziert darüber, ob Kreativität im KI-Zeitalter gerettet werden kann, während 70% der Patente der künstlichen Intelligenz aus China kommen.
Innovation am Lieferanteneingang
Und Yajuan Wang stellt die chinesische social commerce Plattform „Xiaohongshu“ (Little Red Book) vor. Sie hat heute 300 Millionen daily users und war im Januar 2025 das meist gedownloadete App in den USA.
Aber: Beide Vorträge finden im Forum Rotonde statt, 200 Meter hinter dem Grand Palais, weit hinter dem Lieferanteneingang. Eine chinesische Plattform erobert Amerika, und wir verstecken sie da, wo Plastikbecher und Stühle angeliefert werden.
Nebst Scott und Sharon sind auch Fadi, Klaartje, Guilherme, Leila, Ramiro, Xolisa, Naoki, Ali, Alox, Seiya und andere unter den Juroren. Sie sind die grosse Minderheit.
Die Cannes Lions kultivieren eine kreative Monokultur. Der Wochenpass für 4295 Euro, vier Monatsgehälter eines indischen Creative Directors, wirkt nicht wie eine Einladung an Kollegen, die das Zentrum der innovativsten Märkte der Welt sind.
Kreativität darf kein westliches Monopol sein, sie darf keine Grenzen haben. Sie darf nicht nur auf die linke Seite der Weltkarte schauen. Das sage nicht nur ich, das war auch immer water-cooler talk in meinen globalen Teams.
Wie lernt der Löwe auf nach links zu schauen? Was ist der Weg aus der kulturellen Einsilbigkeit? Die Art Basel, auch ein kreatives Epizentrum, macht es vor. Mit Ablegern in Miami, Hong Kong und Paris hat sie sich globalisiert und ist immer am Puls der Kunst. Ihre Community ist stärker als je zuvor, der Umsatz hat sich vervielfacht.
Das Spiel mit der Zukunft
Erlaubt mir dieses Gedankenexperiment.
Cannes Lions Jakarta, 2030.
Zwischen Mopeds und Street Food-Ständen drängen sich Strategen, Kreative und Corporates. Die Luft ist schwer von Gewürzen, Abgasen und Ambitionen. Auf der Hauptbühne spricht ein junger Stratege aus Yogyakarta, der mit Gaming-Mechaniken Schulbildung neu gedacht hat. Die 25-jährige taiwanesische Digitalministerin berichtet, wie ihre Regierung TikTok-Kampagnen gegen Lebensmittelverschwendung vorgeht. Die Moderatorin aus Manila führt das Panel auf Bahasa – live übersetzt mit KI, gestreamt auf private Airpods.
Die Jury: Sie kommt aus Märkten mit zweistelligem Werbewachstum. Die Preise für die Pässe sind an die Kaufkraft des Heimatlandes gekoppelt. Tor Myrhen moderiert ein Panel mit jungen Gaming-Gründern. Jimmy Fallon lernt live auf der Bühne, wie man auf Douyin viral geht – angeleitet von einem 22-jährigen Creator aus Surabaya.
“Wer nach Cannes geht, soll den Atem der ganzen Welt im Nacken spüren. Aus Jakarta, Guangzhou, Sao Paolo, Nairobi. Und vom Antrieb der neuen Welt durchs Jahr gepusht werden.”
Wir sehen uns in Jakarta.